PAUL THIERRY

Die Lust am Sammeln und am Archivieren, die Freude am Kombinieren und Experimentieren zeichnet Paul Thierry ebenso aus, wie der stete Impuls, etablierte Normen und herkömmliche künstlerische Techniken zu hinterfragen und auf neue Potentiale hin auszuloten. Bis 2010 signiert der 1960 in Dramatal bei Gleiwitz (Oberschlesien/Polen) geborene Künstler seine Arbeiten mit „Peter Bednorz“ und feierte national wie international großartige Erfolge als Pop-Art-Künstler.

Paul Thierry

2000 strahlte der öffentlich-rechtliche Fernsehsender TVP Polonia ein Künstler-Porträt über Bednorz aus. Im Jahr 2006 erwarb die deutsche Bundesregierung über Vermittlung des Auswärtigen Amtes die Arbeit „Berlin“, die der Künstler dem Thema „Wiedervereinigung“ gewidmet hatte. Seit kurzem ist er auch in der Sammlung des Museums Abtei Liesborn im Kreis Warendorf (Nordrhein-Westfalen) vertreten; ebenso erwarb das weltberühmte 7-Sterne-Hotel in Dubai, das Burj Al Arab Jumeirah, eine großformatige Arbeit von ihm.
Bereits 2005 entdeckt Peter Bednorz, der in seiner Person den Maler und den Grafiker ebenso selbstsicher wie den Zeichner und den Objektkünstler vereinigt, das für ihn bis dahin unbekannte Medium der Monotypie. Es soll von nun an seine ganze Aufmerksamkeit beanspruchen. Die Auseinandersetzung mit einem in der Kunstgeschichte etablierten, jedoch in Vergessenheit geratenen künstlerischen Verfahren gelang im letzten Jahrhundert dem Universalgenie Pablo Picasso auf dem Gebiet der Lithografie. Für Paul Thierry ist es das Medium der Monotypie, das ihn immer wieder inspiriert und stimuliert. Einen konkreten Auslöser für die Hinwendung gab es derweil nicht, vielmehr ist sie das Ergebnis spontaner, zufälliger Experimente im Atelier und damit einmal mehr Beleg seiner Offenheit und seines Willens zur gestalterischen Freiheit. Bekanntlich haben wir es bei Thierry mit einem überaus produktiven und disziplinierten Kunst-Innovator zu tun, der den „horror vacui“ (lat.: leerer Raum) nicht scheut. Kein Tag im Leben von Paul Thierry vergeht ohne die leidenschaftlich betriebene Auseinandersetzung mit allen erdenklichen Formen der Kunstgestaltung oder, wie wir es bei Plinius d.Ä. in einer Anekdote über den Maler Apelles lesen können: „Nulla dies sine linea“ – Kein Tag sei ohne Linie! Sinngemäß: Kein Tag vergeht ohne nützliche Tätigkeit – bei Paul Thierry müsste man noch hinzufügen: Kein Tag ohne Experimente!
Mit der Monotypie betritt er ein unbekanntes Feld, eine terra incognita, der er angesichts seiner intensiven Auseinandersetzung künstlerisch Referenz erweist. Einhergehend mit der „Entdeckung“ fällt die Entscheidung zur Namensänderung, deren Gründe sowohl biografischer als auch künstlerischer Natur sind. Paul ist sein zweiter Vorname, während Thierry dem lateinischen Wort „terra“ (Erde) durchaus verwandt erscheint. Bereits als Kind liebte er es, Labyrinthe in tiefer Erde zu bauen und dort Sandskulpturen zu gestalten; da war er erst 10 Jahre alt und es zeugt von seiner ausgeprägten Neugier und Sehnsucht, die Dingen zu erkennen, zu begreifen und ihnen sprichwörtlich „auf den Grund zu gehen“ – eine Eigenschaft, die ihn als Schöpfer auszeichnet und seine künstlerischen Aktivitäten bis heute prägt. Von nun ist es das Medium der Monotypie, das er in seinen technischen, formalen und künstlerischen Raffinessen beleuchtet und durchforscht.
Das Verfahren stammt ursprünglich aus Italien und wurde von Giovanni Benedetto Castiglione (1616-1670) entwickelt. Mit der Monotypie („ein Bild“) wird jeweils nur ein einziger Abdruck erzeugt; statt auf Papier oder Leinwand, den üblichen Bildträgern, wird eine Glas- oder Acrylplatte verwendet. Solange die Farbe noch feucht ist, druckt der Künstler mit einer Presse oder durch Handabreibung das Motiv seitenverkehrt auf das Papier. Die Monotypie ist somit eindeutig als Original zu identifizieren, lässt sie doch nur diesen einen Abzug zu (wenige weitere fallen dagegen aufgrund des Farbverlustes heller aus). Beim herkömmlichen Druckverfahren (etwa der Radierung oder der Lithografie) ist die Herstellung einer Auflage, d.h. einer bestimmten Anzahl nahezu identischer Abbildungen möglich. Wenn sich Thierry nun einer alten Technik zuwendet, dann darf darin kein Indiz mangelnder kreativer Souveränität erkannt werden, sondern vielmehr sein Gegenteil: Es wird auf seine Gültigkeit und seine Aktualität hin überprüft, konfrontiert sich der moderne Künstler mit einem Medium, das vormals im 18. und 19. Jahrhundert seine Anwendung fand.

Paul Thierry fügt ihm nun neue Aspekte hinzu bzw. entlockt dem Verfahren ungeahnte Potentiale. Dergestalt überführt er die Monotypie quasi modernisiert in das 21. Jahrhundert. So arbeitet er beispielsweise mit Lichteffekten oder staffelt teilweise bis zu vier Acrylplatten hintereinander; ebenso kombiniert er das Verfahren auf Acrylplatte mit der klassischen Leinwand, indem beide Bildträger mit Motiven aus seinem gigantischen Archiv an Bild-Vorlagen versehen und anschließend in einigem Abstand zueinander montiert werden. Dabei jongliert der Künstler sowohl mit farbigen Flächen
als auch mit grafischen Strukturen, die in der Überlagerung schließlich das vollständige, komplexe Bild ergeben. Die Staffelung der Bildträger überführt das ursprünglich zweidimensionale Bild in ein objekthaft anmutendes dreidimensionales Kunstwerk.
Das Verfahren bzw. vielmehr die durchleuchtende Wirkung weckt Vorstellungen an die Schichtaufnahme bzw. Schnittbilder, die ein Computertomograph oder ein Kernspintomograph von unterschiedlichen Körperregionen, etwa von einem Organ oder von Gelenken erzeugt. Angesichts der Transparenz bringt der Künstler seine Motive förmlich zum „strahlen“ und kontrastiert geschickt grafisches Lineament mit malerischer Farbfläche. Somit darf Thierry als Erneuerer und Revolutionär der Monotypie gelten, hat sich doch kein Künstler diesem Verfahren bisher so intensiv und so innovativ gewidmet wie er.
Im Zentrum seiner Kompositionen stehen figürlich-gegenständliche Motive aus seiner unmittelbaren Umgebung, lässt er sich vom Zeitgeist, von aktuellen Anlässen in Politik, Gesellschaft und Alltags- bzw. Pop-Kultur inspirieren, sind stets auch Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens in seinem OEuvre präsent. In der Arbeit „Schwarzes Schaf“ (2013) platziert er ein pinkfarbenes Zebra in einer Schneelandschaft vor kahlen Baumstämmen. Was auf den ersten Blick kurios, ja durchaus humorvoll anmutet, weckt in Anlehnung an den Titel Assoziationen an die sprichwörtliche Redewendung vom „schwarzen Schaf“. War damit jedoch ursprünglich ein Außenseiter gemeint, der sich aufgrund seiner wie auch immer gearteten Andersartigkeit von der Mehrheit unterscheidet, sind es im vorliegenden Bild die Farbe und der räumliche Kontext, die das Zebra zum vermeintlich „schwarzen“ und damit zum Sündenbock, zum Verantwortlichen von Missständen macht.
Mit „Politische Kuh“ (2013) greift der Künstler auf ein ähnliches Schema zurück: Dieses Mal positioniert er eine Kuh in rötlichem Ton vor dem deutschen Bundestag in Berlin, deutlich an der berühmten Kuppel oberhalb des Gebäudes zu erkennen. Mit der Wahl der Farbe wie auch dem Motiv vor dem prominenten Bau vermag Thierry einmal mehr zu irritieren. Es ist diese Art der Verfremdung bzw. der Kreation eines neuen Kontextes, die er sowohl dem Gebäude als auch dem Tier beimisst, die den Betrachter aufmerken lässt und aus der Reserve lockt. Der synthetische Charakter ist im Ergebnis der Freiheit in künstlerischer wie formaler Hinsicht geschuldet. Die Außerkraftsetzung
von jeglichen Regeln und Gesetzmäßigkeiten, wie Thierry sie ausspielt, sind den Künstlern des 21. Jahrhunderts vorbehalten
.„Love is my religion“ (2015) mit dem Konterfei des 14. Dalai Lamas vor poppig buntem Hintergrund vermittelt dagegen einmal mehr eine weltbekannte Persönlichkeit, die er wie einen Pop-Star inszeniert. Indem er diese, im Verständnis und im Gedächtnis abgespeicherten Persönlichkeiten unter Verwendung eines neuen künstlerischen Mediums vorstellt, vermag er insbesondere Tragik und Magie der Persönlichkeiten zum Er-Leuchten zu bringen.
Mit „Picasso no smoking“ (2015) setzt er einem der außergewöhnlichsten Künstler des 20. Jahrhunderts ein Denkmal. War es nicht gar Picasso, der seinerseits in der Mitte des letzten Jahrhunderts der Drucktechnik Lithografie zu neuer, ganz außergewöhnlicher Blüte verhalf! Dass er Pablo Picasso, der für sein Leben gern die Marke Gitanes rauchte, entgegen dem Titel-Spruch freudvoll rauchend zeigt, zeugt von Thierrys Humor.
©Dr. phil. Gabriele Hovestadt, Galerie Hovestadt, Nottu